jeudi 11 avril 2013

Ami Bost - Das Theologiestudium in Genf um 1810



Ami Bost (1790-1874) war einer der wichtigen Prediger der Erweckungsbewegung, die einen nicht unwesentlichen Einfluß auf Frédéric, Adolphe und Guillaume Monod hatte. Im folgenden Auszug aus seinen Erinnerungen (1854) gibt er uns einen Eindruck von seinem Theologiestudium in Genf.

*** Meine Übersetzung des französischen Originaltexts ***

„Ich habe mein Theologiestudium gegen Ende 1809 begonnen.

Zu dieser Zeit war der Einfluß der großen französischen Revolution, die gerade ihr Ende gefunden hatte, noch sehr deutlich spürbar: die Lehre der Kirche und die Sitten im Allgemeinen waren so locker geworden, wie man es sich heute kaum vorstellen kann. Das Leben der Studenten, sowohl in der Theologie als auch in den anderen Fächern, war dementsprechend: was sie sagten und sangen, die Kritzeleien auf den Bänken der Hörsäle und das Benehmen von so manchem war jenseits dessen, was geduldet werden kann.

Was den Unterricht angeht, übertrifft eine Beobachtung alle anderen; obwohl sie unglaublich scheint, entspricht sie der Wirklichkeit. Während der vier Jahre, die wir damit verbrachten, die Theologie zu studieren, und abgesehen davon, daß wir das Alte Testament dazu verwendeten, um ein wenig Hebräisch zu lernen – wobei wir ungefähr hundert Psalmen in vier Jahren übersetzten – öffnete man die Bibel in unseren Hörsälen nicht. Dieses Buch war dort unbekannt und nutzlos. Anders gesagt, die Bibel wurde in den Vorlesungen nicht verwendet und, von ihrem Einsatz bei Übersetzungen abgesehen, konnte man es sich leisten, sie nicht zu besitzen! Es mag schon sein, daß man sie hier und da erwähnte, zum Beispiel um uns auf Schönheiten ihrer Poesie hinzuweisen, oder auf bemerkenswerte rednerische Momente, oder um Dogmen der sogenannten natürlichen Religion zu unterstreichen, auch das der Auferstehung und eines zukünftigen Gerichts, aber davon abgesehen – nichts. Was insbesondere das Neue Testament angeht, da einige unter uns die griechische Sprache beherrschten und von den anderen dasselbe angenommen wurde, fand dieses Buch weder in Übersetzungen noch sonstwo Verwendung. Es gab auch keine Vorlesung, weder gut noch schlecht, zur christlichen Dogmatik – alles war reiner Deismus, und, obwohl man sich das nicht offen eingestand, ein schamloser Deismus. Das war unser Studium, das war die Atmosphäre, aus der Gott in seiner wunderbaren Gnade die meisten Pastoren der Erweckungsbewegung hervorgebracht hat, unter denen sich die Herren Guers, Empeyta, Malan, Gaussen, Merle, Galland und der Schreiber dieses Buchs befanden. Ich habe genau zur gleichen Zeit wie Herr Gaussen studiert; Herr Malan war uns zwei oder drei Jahre voraus, die Herren Galland und Merle folgten uns im Abstand von einem oder zwei Jahren.

Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus war es das gleiche Elend, und es konnte auch gar nicht anders sein. Zu dieser Zeit pflegte man in der Theologie nur die Redekunst, und auch in dieser Hinsicht vernachlässigte man völlig den Grund der Dinge, denn neben Saurin legte man uns eine große Menge von römisch-katholischen Predigern vor – Massillon, Bourdaloue, Bossuet, Réguis – mit allen Fehlern, die diese Predigten unter schönen Worten verbargen.

In Hinblick auf unsere Frömmigkeit fanden wir nur außerhalb unserer Studien Unterstützung, und insbesondere in den kleinen Versammlungen, auf die wir immer wieder zurückkommen, und die uns ein wenig Abhilfe in unserer armseligen Lage gewährten. Etwa zu dieser Zeit (1810) wurde die Société des Amis gegründet, die ich vorhin schon erwähnt habe. Sie hat nicht bis zum Aufblühen der Erweckungsbewegung im Jahr 1816 bestanden, aber sie war ein wenig beständiger als ihre Vorgängerinnen, und wir werden bald wieder auf sie zurückkommen. Sie bestand nur aus Männern, vor allem jungen Leuten, und zählte ungefähr zwanzig Mitglieder.

Angesichts dieser Zustände kann man sich leicht vorstellen, welchen traurigen Einfluß meine theologischen Studien auf mich haben mußten, zumal ich ohnehin schon schlecht betreut wurde und voller Widersprüche war. Wenn es darum ging, Predigten zu verfassen, versuchte ich, ein wenig Redekunst zu beweisen, aber andererseits war ich, was die Rhetorik angeht, im Innersten davon überzeugt – und dieses Prinzip hat sich Tag für Tag in mir gefestigt – daß das Evangelium in sich die Kraft Gottes ist, und etwas, was den Menschen übersteigt, und daß man es ohne jeden Hinblick auf literarische Aspekte, ohne jede rednerische Berechnung predigen muß. Ich habe dieses Prinzip später bei Pascal gefunden, der am Beginn seiner vortrefflichen Schrift zur Kunst zu überzeugen ganz offen sagt:
„Ich rede hier nicht von den göttlichen Wahrheiten, die ich nicht unter die Kunst zu überzeugen stellen darf, denn sie sind unendlich erhaben über der Natur, Gott allein kann sie in die Seelen einpflanzen, und zwar auf die Weise, die ihm beliebt.“ […]
Diese Spannung führte bei mir zu einem sehr mittelmäßigen Ergebnis, mit dem Erfolg, daß mich meine Kollegen und die Öffentlichkeit lange für engstirniger gehalten haben, als ich es wirklich war.

Inmitten dieses Verfalls der Lehre und all meiner Untreue gab ich mich doch als Verteidiger der Rechtgläubigkeit aus; ich war zu dieser Zeit der einzige im Hörsaal, der diese mühsame und gefährliche Rolle übernahm, denn Herr Gaussen, der damals schon auf die Wahrheit zusteuerte, hatte seine Überzeugungen noch nicht öffentlich zum Ausdruck gebracht. Wohlgemerkt, ich verteidigte die Rechtgläubigkeit mehr als Theologe denn als Christ, und ohne jedes Charisma.

Um ein Beispiel der andauernden Widersprüche meines armseligen Lebens dieser Zeit zu geben, sei nur angeführt, daß ich neben meiner Lektüre von Virgil und Voltaire, und inmitten von allerhand Verpflichtungen, Vorhaben und oberflächlichen Vergnügungen, vom 1. bis 4. Oktober 1811 für unsere Société des Amis eine sehr ausführliche und ernste Abhandlung gegen den Tanz verfaßt habe. Ich habe diesen Text heute noch […]. Er beginnt mit „Meine Herren!“ geht aber dann schnell auf „meine Brüder“ über. Es handelt sich natürlich um eine zweitklassige Abhandlung, aber sie ist nicht uninteressant als Zeitzeugnis. Wenn ich sie lese, muß ich lächeln, angesichts dieses überzogenen Stils der gar nicht meinem Wesen entspricht und dessen Eintönigkeit ich mir damals schon bewußt war, aber zu dem ich unwillentlich gelangt war infolge der eifrigen Lektüre des langweiligen Massillon, den man mir empfohlen hatte!“

Auch auf meiner Adolphe Monod Webseite veröffentlicht (hier).

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