Antoine Vermeil (1799-1864)
In seinem Buch über die Diakonissen von Reuilly beschreibt
Gustave Lagny (1912-2002) die Jugend von Antoine Vermeil und die ersten
Jahre seines Pastorenamts wie folgt:
„Antoine Vermeil wurde in Nimes am 19. März 1799 geboren. Seine Familie war hugenottisch und kam aus der Picardie. Seine Mutter war eine Rocheblave und war ein begeistertes Mitglied einer Quakergruppe gewesen. Sein Vater war Händler und Schneider. Beide hatten ihre erste Kommunion im „Désert“ empfangen. Sie hatten nur zwei Kinder: Antoine und einen jüngeren Sohn, Jules, der auch Pastor wurde. In seinen jungen Jahren war Antoine ein guter Schüler. Eine Zeitlang hatte er vor, Medizin zu studieren, aber er verzichtete darauf, als er begriff, daß er dazu berufen war, sich direkt in den Dienst Jesu Christi und seiner Kirche zu stellen.
Sein Theologiestudium hat er in Genf absolviert. Dort blieb er sieben Jahre, zuerst als „Student“ und dann als „Prediger“, von 1816 bis 1823. Diese Zeitangabe ist von Bedeutung, denn das waren gerade die Jahre der Genfer Erweckung.
Antoine scheint nicht Teil der kleinen Gruppe von Theologiestudenten gewesen zu sein, die sich bei Robert Haldane versammelten. Er war damals noch neu in Genf, ein ganz junger Student (18 Jahre alt). Dessen ungeachtet wurde er tief von der Erweckungsbewegung beeinflußt; sein ganzer zukünftiger Dienst als Pastor sollte deren Spuren tragen. Seine besten Freunde, denen er sein ganzes Leben lang verbunden war, waren direkt von dieser tiefgehenden religiösen Bewegung erfaßt worden; es handelt sich dabei um Frédéric und Guillaume Monod, Henri Merle d’Aubigné, Louis Vallette, Adolphe Monod. Seine Abschlußarbeit hat er dem Thema „Der religiöse Bekehrungseifer“ gewidmet. Damals schon beschäftigte er sich mit der Evangelisierung und der Ausstrahlung der Kirche, und diese Themen waren ihm zeitlebens wichtig.
Am Ende seines Studiums wurde er als Aushilfs-Pastor der Kirche von Genf angestellt. Seine Begabung als Prediger sprach sich schnell herum. Im April 1823 predigte er über „die Liebe zu den Feinden“, und diese Predigt beeindruckte seine Zuhörer stark: sie brachte gewisse Genfer Familien dazu, sich dauerhaft miteinander zu versöhnen. Infolgedessen wurde Vermeil deshalb die Genfer Bürgerschaft verliehen.“ (1)
Auch wenn das Wort von den besten Freunden übertrieben sein
könnte, es steht fest, daß Adolphe Monod Vermeil in Genf kennengelernt
hat. In der Biographie ihres Vaters nennt Sarah Monod (1836-1912)
Vermeil:
„Adolphe Monod und sein Bruder gaben sich neben den Theologievorlesungen und ihren Pflichtaufgaben noch anderen Beschäftigungen hin ... Schon in den ersten Studienjahren schufen sie mit zweien ihrer Mitschüler, den Herren Vermeil und Lavil, eine kleine Gruppe „bestehend aus allen Kandidaten für das Pastorenamt, die dazu gehören wollen, mit dem Ziel, literarische Übungen und Übungen zum Abfassen, die in den Vorlesungen fehlen oder nur sehr unzureichende durchgeführt werden, und die jedem Student aufgrund der großen Zahl der Mitschüler nur sehr selten zufallen, zu machen. Wir denken daß unter den zwanzig Studenten, die wir sind, nur ungefähr zehn in unsere Gruppe eintreten könnten; die anderen sind zu beschäftigt oder gehören zur Opposition.“ ... In diesen Versammlungen übte man das Vorlesen, das Abfassen, die Improvisation und das Rezitieren.“ (2)
Vermeil verläßt Genf im Jahr 1823, um sich als Nachfolger von
Jean-Henri Merle d’Aubigné (1794-1872) um die französische Gemeinde in
Hamburg zu kümmern. In der Folge wird er im Jahr 1824 nach Bordeaux
berufen (3).
Nachdem auch er Genf verlassen hat, bleibt Adolphe Monod in
Kontakt mit Vermeil. Das sieht man aus einem Brief, den er am 14.
Februar an den Pastor Bouvier schreibt:
„... Es heißt, daß Vermeil allgemein in Bordeaux gefällt, und daß man ihn dort liebt; das verwundert mich keineswegs. Ich warte auf einen Brief von ihm ...“ (4)
Gustave Lagny zufolge entwickelt Vermeil in der Tat eine eindrucksvolle Schaffenskraft in Bordeaux:
„ ... der Aufenthalt von Vermeil in Bordeaux ist gekennzeichnet von einer ganzen Serie von Unternehmungen, durch die die Pfarrgemeinde mit Organen für verschiedenste Tätigkeiten ausgestattet wird. Im Jahr 1829 schafft er ein „Büro für protestantische Wohltätigkeit“. Um diesem Büro Wirkung zu geben, ruft er im gleichen Jahr eine „Wohltätige Gemeinschaft“ bestehend aus 36 Damen ins Leben. Auf die verschiedenen Stadtteile verteilt, sollen die Damen eine Art Heim-Sozialdienst anbieten. Ungefähr zur gleichen Zeit gründet er eine „Sonntagsschule“ und organisiert einen höheren Katechismus für Erwachsene. Beide sind gut besucht. Ein wenig später unterstützt er die Schaffung einer protestantischen Elementarschule („Ecole des Chartrons“) und eine Vorschule (1832). Danach ist er die treibende Kraft hinter der Errichtung einer zweiten Kirche in Bordeaux („Temple des Chartrons“) und eines Protestantenfriedhofs.
Darüber hinaus sah er über seine Pfarre hinaus die Bedürfnisse der protestantischen Kirchen Frankreichs in ihrer Gesamtheit. Vermeil sieht sich veranlaßt, viele verschiedene Bemühungen vorzuschlagen, zu beantragen oder selbst zu unternehmen. Ab dem Jahr 1829 ruft er eine „Gesellschaft zur Vorsorge und Unterstützung für Witwen und Waisen von Pastoren“ ins Leben. Im Jahr 1834 legt er mit zwei anderen Pastoren das Fundament für die „Christliche protestantische Gesellschaft Frankreichs“ deren Ziel es ist, die verstreuten Protestanten zu unterstützen und zu sammeln und mit allen Mitteln (Veröffentlichungen, Predigten, ...) den protestantischen Einfluß zu vergrößern, kurz das zu tun, was dreizehn Jahre später das Programm der „Allgemeinen Gesellschaft für Evangelisation“, einer Erbin dieser „Christlichen Gesellschaft“ von Bordeaux und mehrerer anderer solcher Gesellschaften, sein würde. Er interessiert sich für die Ausbildung der Pastoren und für die theologischen Fakultäten und wird in den Rat, der die Bewerbungen auf die Lehrstühle der theologischen Fakultät von Montauban beurteilen soll, berufen. Auf einem anderen Gebiet geht er mit einem Musiker, dem Professor Pottier, an die Neubearbeitung des alten Psalters heran (1833 bis 1836). ... Zuletzt führt sein Ruf, den er seinem Wirken vor Ort verdankt, und der Rang, den er im Alter von nur 35 Jahren in den reformierten Kirchen Frankreichs innehat, dazu, daß er 1834 in die von François Guizot geschaffene Studienkommission berufen wird.“ (5)
Im Jahr 1826 heiratet Vermeil Louise Paschoud, die Tochter
eines Buchhändlers und Verlegers in Genf. Die beiden haben mindestens
einen Sohn, Antoine Henri Vermeil, geboren 1842.
Wir haben keine Spuren eines Briefwechsels zwischen Adolphe
Monod und Antoine Vermeil aus der Zeit nach 1825, aber der (liberale)
Kollege von Adolphe Monod in Lyon, Joseph Martin-Paschoud (1802-1873)
ist der Ehemann einer Schwester von Frau Vermeil. Man darf vermuten, daß
es während der Dreißigerjahre Kontakte auf diesem Wege gegeben hat.
Nach einigen von Konflikten gezeichneten Jahren verläßt Vermeil
Bordeaux im Jahr 1840 und verfolgt seine pastorale Laufbahn in Paris.
Dies ist auch die Zeit, in der sich das Projekt der Diakonissengemeinde
langsam konkretisiert. Monod ist zu dieser Zeit Professor an der
Fakultät von Montauban. Eine Predigt, die er in Bordeaux gibt, ist
entscheidend für die Berufung von Caroline Malvesin, die mit Vermeil
dieses Werk begründet (6) (siehe dazu auch unsere Notiz über Adolphe
Monod und Caroline Malvesin). Die Gemeinschaft erblickt im Jahr 1841 das
Licht der Welt. Der Vizepräsident des Aufsichtsrats (ab 1842 (7)) ist
Louis Vallette. Auch er ist ein Studienkolleg und Freund Adolphe Monod
ist (siehe dazu unsere Notiz „Adolphe Monod und Louis Vallette“).
Im Jahr 1846 nehmen Antoine Vermeil und Adolphe Monod beide an
der Gründungsversammlung der Evangelischen Allianz in London teil (8).
Die ersten Jahre des Diakonissenwerks sind von den Angriffen
sowohl der Liberalen (hinter Athanase Coquerel (1820-1875) als auch
Vertretern des evangelischen Lagers (vor allem Valérie de Gasparin
(1813-1894) gekennzeichnet. Adolphe Monod wird inmitten dieser
schwierigen Jahre Pastor in Paris. Er scheint den Diakonissen keine
direkte Unterstützung zukommen haben zu lassen, aber er ermutigt ihre
Führer. Das ist jedenfalls die Meinung von Gustav Lagny:
„Viele unserer Glaubensgenossen sahen, das allzu Spitzfindige und Ungerechte der Angriffe von Frau de Gasparin und Athanase Coquerel. Auch wenn sie nicht direkt die Sache der Diakonissengemeinschaft unterstützten, erwiesen sie doch unserer Gemeinschaft oder ihren Führern Beweise der Freundschaft, die desto inniger waren, je größer ihr Schmerz war, sie so mißverstanden zu wissen. Wir nennen nur in paar der bedeutenden Namen unter diesen Unterstützern: Adolphe Monod, Henri Grandpierre, Jules Pédézert ...“ (9)
Im Jahr 1851 versucht die Regierung, die reformierte Kirche
umzugestalten. Der Minister für Erziehung und Religionsfragen, der Baron
de Crouseilhes (1792-1862), beabsichtigt, eine Nationalsynode
einzuberufen. In diesem Zusammenhang erwägt man die Schaffung einer
siebenköpfigen Kommission, der Vermeil und Monod angehören sollen (10).
Wir sehen diese beiden Namen auch in der Antwort des Präfekten
der Gironde, Georges Haussmann (1809-1891), vom 16. Mai 1853, auf den
Brief des Ministers für Erziehung, Hippolyte Fortoul (1811-1856), in
welchem er die Präfekten gefragt hatte, wer „die [ihrer] Meinung nach
bedeutendsten, anerkanntesten und weisesten Personen unter den
Protestanten ihres Departements“ seien. Haussmann, der den Liberalen
feindlich gegenübersteht, übt Kritik an der Zusammensetzung des
Zentralrats und schlägt vor, Monod und Vermeil öfter zu Rat zu ziehen
(11).
Als Adolphe Monod 1856 im Sterben liegt, ist Vermeil unter denen, die ihn begleiten. Die Sammlung Les adieux
nennt die Pastoren, die die letzten Gottesdienste, die um den
Sterbenden organsiert wurden, leiten: „die Herren Frédéric Monod,
Guillaume Monod, Meyer, Grandpierre, Gauthey, Vaurigaud (de Nantes),
Vallette, Armand-Delille, Vermeil, Fisch, Jean Monod, Edmond de Pressensé, Petit, Paumier, Zipperlen, Hocart, Louis Vernes, Boissonnas und Vulliet.“ (12)
Zu diesem Zeitpunkt steht Vermeil noch dem Diakonissenwerk vor.
Die Zeit der heftigen Angriffe ist vorbei, aber sie hat ihre Spuren an
Vermeil hinterlassen. „Ich spüre, daß meine Kräfte Verrat üben an meinem
Willen.“, sagt er (13). De facto ist es Louis Vallette, der seit 1857 dem Werk vorsteht und es nach dem Tode Vermeils am 18. Oktober 1864 fortführt.
Quellen
- Sarah Monod, Adolphe Monod, I. Souvenirs de sa vie. Extraits de sa correspondance, Paris, Librairie Fischbacher, 1885, 479 p. Eine teilweise deutsche Übersetzung liegt vor : Max Reichard, Adolph Monod. Lebens-Erinnerungen und Briefe, Calw und Stuttgart, Verlag der Vereinsbuchhandlung, 1887, 354 p.
- Les adieux d’Adolphe Monod à ses amis et à l’Eglise, Meyrueis, Paris, 1856, 191 p. Mehrere deutsche Übersetzungen liegen vor, z.B. Band 8 der Ausgewählten Schriften, Adolf Monod’s Abschiedsworte an seine Freunde und an die Kirche, Velhagen & Klasing, 1862, 155 p.
- Gustave Lagny, Le réveil de 1830 à Paris et les origines des diaconesses de Reuilly, Paris, Association des diaconesses, 1958, 195 p. (neu herausgegeben im Jahr 2007 von den Editions Olivetan)
- André Encrevé, Protestants français au milieu du XIXe siècle, Genève, Labor et Fides, 1986, 1121 p.
Fußnoten
(1) Gustave Lagny, Le Réveil …, p. 37s. Die Hervorhebung ist von uns.
(2) Sarah Monod, Souvenirs, p. 14. Die Hervorhebung ist von uns.
(3) Gustave Lagny, Le Réveil …, p. 38
(4) Sarah Monod, Souvenirs, p. 69
(5) Gustave Lagny, Le Réveil …, p. 40s
(6) Gustave Lagny, Le Réveil …, p. 49s
(7) Gustave Lagny, Le Réveil …, p. 74
(8) Gustave Lagny, Le Réveil …, p. 135
(9) Gustave Lagny, Le Réveil …, p. 129 ; cf. p. 180
(10) Encrévé, Protestants …, p. 226
(11) Encrévé, Protestants …, p. 556
(12) Les adieux, p. III. Die Hervorhebung ist von uns.
(13) Gustave Lagny, Le Réveil …, p. 151
Aucun commentaire:
Enregistrer un commentaire